Zusammenfassung eines zweiwöchigen, etwa 300 Kilometer langen Trails auf dem europäischen Fernwanderweg E1 über die Gebirge in der Mitte Deutschlands. Die Route führt in Teilstücken auf anderen Fernwanderwegen, wie etwa Lippischer Pilgerweg, Hansaweg, Hermannsweg, Eggeweg und Rothaarsteig. In der Summe wurde ca. 5.500 Meter erklommen und ca. 5.100 Meter wieder hinabgestiegen
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Muskelkater in Musterlandschaft
Dieses Stück hier bedurfte einiger ausgiebiger Recherchen, denn wer blickt denn da schon durch? In dieser Gegend, die eines gemeinsam hat: nicht allzuhohe, mehr oder weniger große Gebirgszüge in der Mitte Deutschlands - mit viel Wald. Die Regionen und Bundesländer überschneiden sich und erheben jeweils Anspruch darauf, zum anderen zu gehören: Nordrhein-Westfalen bzw. Westfalen bzw. Ost- oder Südwestfalen, Hessen. Teutoburger Wald (ehemals Osning genannt), Sauerland. Lippisches Bergland, Wittgensteiner Land. Eggegebirge, Rothaargebirge ... Wo sind die Grenzen, wo die Überschneidungen?
Wikipedia berichtet von einer "Nahtstelle" zwischen Teutoburger Wald und Eggegebirge in der Gegend von Horn. Klingt plausibel. Das Rothaargebirge wiederum erstreckt sich über historische Landschaften wie Sauerland, Upland und Wittgensteiner Land - um nur einige zu nennen.
Insofern ist es vielleicht hilfreich, wenn man es so aufteilt: Gebirgszüge (Teutoburger Wald, Eggegebirge, Rothaargebirge), historische Landstriche (z.B. Lippisches Land, Sauerland, Wittgensteiner Land etc.) und: Bundesländer (Nordrhein-Westfalen, Hessen - zu Beginn meiner Wanderung übrigens noch Niedersachsen). Einfacher geht's nicht. Ich hoffe, jetzt hat sich niemand übergangen gefühlt! Wortmeldungen werden sehr gerne entgegengenommen.
All diese Regionen habe ich diesmal auf meiner Herbstwanderung durchstreift und dabei mal wieder richtig viele Eindrücke sammeln können.
Wandern ist in. Und so bin ich auf meiner E1-Herbsttour auch gleichzeitig auf folgenden ausgewiesenen Fernwanderwegen gelaufen: Lippischer Pilgerweg, Hansaweg, Hermannsweg, Eggeweg, Bäderweg, Kaiser-Otto-Weg, Rothaarsteig, Wittgensteiner Panoramaweg, Lahnwanderweg - um nur einige zu nennen.
"Pilgern in Lippe", "Hansaweg", "Eggeweg", "Bäderweg" ... - schon toll, wie viele Routen man mit dem E1 gleichzeitig abdecken kann! Das Signet des E1, das weiße Andreaskreuz auf schwarzem Grund, wird zunehmend abgelöst von einem EU-Zeichen
Dennoch begegnet man abseits der Touristenattraktionen Hermannsdenkmal, Externsteine, Niedersfelder Hochheide und Kahler Asten auf den Wegen selten mal einem Tageswanderer, gelegentlich einem oder zwei E-Radlern, nie jedoch einem Fernwanderer. Und Weitblicke wie diese kann man vollkommen ungestört ganz alleine genießen:
Von der Preußischen Velmerstot - Blick nach Osten - in Richtung Höxter und Holzminden
Manche Fernsicht ist allerdings erst neuerdings möglich. Durch die massiven Abholzungen infolge des Borkenkäferbefalls.
An dieser Stelle ist ein neuer Ausblick im Wald entstanden. Auf dem Kamm des Eggegebirges
Natürlich berichte ich auch diesmal wieder gerne über meine Wahrnehmungen in Deutschland.
Da ist zunächst mal das ewig gutgelaunte, meist banale, immer schlagermusikalisch untermalte Frühstücksradio (und mit "Schlager" nehme ich internationale Gassenhauer von weltbekannten stromlinienförmigen Stars nicht aus), das die Frühstücksräume deutscher Unterkünfte beschallt. Das ist ein Gesetz! Ein Reisender in Deutschland darf seine Schlafstatt nicht verlassen, ohne solchermaßen behandelt worden zu sein! Und das Beste dabei ist: Die meisten merken es gar nicht. Bis auf meine Wenigkeit. Ich leide auf meinen Wandertouren regelmäßig schon in den frühen Morgenstunden.
Auch einigermaßen qualvoll ist es, zu sehen, wie deutsche Innenstädte mit beachtenswerter und teilweise einmaliger Bausubstanz durch die unachtsame Integration von Ladengeschäften vollkommen beliebig, austauschbar und belanglos werden. Dabei ist es durchaus möglich, hier Kompromisse zu finden.
Schönes Haus in der Innenstadt von Hameln mit Verunstaltung
Ladenzeile in Marbug. Wir raten: Wo sind mehr Touristen unterwegs?
Auf dieser Tour sind einige Bilder entstanden, an denen man quasi "blind" erkennt, dass sie in Deutschland aufgenommen wurden. Ich habe sie "Deutschlandbilder" genannt. Viele konnten nicht in die einzelnen Beiträge aufgenommen werden. Hier also noch ein paar Beispiele.
Die Umgebung der Heilig-Geist-Kirche in Lemgo wurde farblich perfekt auf die Farben des Kirchturms (im Hintergrund zu sehen - und ja, es ist ein Kirchturm und nicht der Turm einer Industrieanlage) abgestimmt. Im übrigen alles schön aufgeräumt, gestutzt und geregelt
Mein Dorf soll schöner werden - das könnte das Motto für diese Abbildung eines Fachwerkhofes sein - im Ostsauerland
Selber Ort, anderes Konzept. Beiden gemein sind das ordentliche Erscheinungsbild sowie die Gardinen und die Blumendeko (Geranien)
Hier mäht nicht der Roboter, sondern der Hausherr selbst. Vorbildliche Pflege einer Rasenfläche in einem Dorf im Lippischen
Das Gebäude mit Ortswappen von Westfeld (Schmallenberg) - auch sehr aufgeräumt, aber schön, wegen der Geometrie
Windenergie ist in unserem Land ein Reizthema. Dennoch gehören Windräder zu unserem Landschaftsbild mittlerweile dazu. Mehr dazu kann man hier lesen (der Link führt zu einer ausführlichen Dokumentation des BUND). Wie schon in meinen vorigen Beiträgen deutlich wurde, sind mir Windräder lieber als Autobahnen, LKW-Kolonnen, mit Motorradlärm verseuchte Gebirgsregionen und Atomkraftwerke usw. Hier also noch zwei weitere, wie ich finde: heitere Deutschlandbilder:
Ich stelle mir gerade vor, wie es wohl aussähe (und sich anhören würde), wenn hier ein Kohlkraftwerk stünde
Die Kohle würde wahrscheinlich auf der Straße rechts im Bild angeliefert werden. Diese wäre dann sicherlich nicht so schmal
Dass die Deutschen Sehnsucht nach dem Andersartigen haben, kam ja schon bei meiner letzten Tour zur Sprache. Im Sauerland wurden dementsprechend ebenfalls an Häuserwände gepinselte Palmen gesichtet. Die Flucht aus dem Alltag gelingt aber nicht nur in räumlicher Hinsicht, sondern auch mittels einer zeitlichen Transformation:
Auch ein Deutschlandbild, wenn man so will. Das Mittelalter ist total hip. Wobei: Ich würde in jener Zeit nicht gelebt haben wollen. Und die abgebildeten Personen womöglich auch nicht, hätten sie doch auf den schönen Kinderwagen und so manchen anderen Komfort (wie zum Beispiel die Teilnahme am Mittelalterfestival) verzichten müssen. Anmerkung: Dieses Bild entstand nicht entlang der Route des E1, sondern in Marburg. Tut der Aussage aber keinen Abbruch ...
Die Flucht aus dem Alltag gelingt in letzter Zeit übrigens immer bequemer. Dank E-Bikes muss man sich dabei auch überhaupt nicht mehr anstrengen. Den Berg hinauf? Wieder hinab? Wo ist der Unterschied? Man sitzt auf seinem elektrisch fahrbaren Untersatz und genießt die Landschaft und sonst nichts. Großartig. Für denjenigen, der damit unterwegs ist. Fußgänger indessen müssen sich damit abfinden, dass auf jedem halbwegs geeigneten Wanderweg unerwartet ein Geschoss an ihnen vorbeifliegen kann. Die von den Radlern selbst eingeforderte Distanz zum anderen Verkehrsteilnehmer wird dabei nur selten gewahrt. Kunststück - bei so schmalen Fahrtrassen ... Mein scherzhafter Zuruf "Ohne Muskelkraft? Das gilt ja gar nicht!" kommt nicht so gut an in dieser Community. Ebensowenig die Aufforderung, sich doch wenigstens im Vorfeld der Begegnung durch ein "Ping" bemerkbar zu machen. Alltag einer Fernwanderin in der Neuzeit.
Sehr bedauerlich ist auch der Niedergang der Gasthauskultur in den ländlichen (und städtischen!) Regionen, die ich bewandert habe. Der Unterhalt eines solchen Betriebes ist offenbar nur möglich, wenn alle mitmachen. Die Familie, zum Beispiel. Personal ist schwer aufzutreiben. Und so kommt es, dass viele Gasthöfe schließen müssen.
Die Werbung für Westheimer - ein Bier das übrigens recht gut mundet - täuscht vielleicht ein wenig über die Aussage dieses Schildes hinweg: So manches schläft in der Region den Dornröschenschlaf
Richtig: Es war einmal, da gab es kein Handy. Das "Gästehaus" oder wahlweise die Bierstube konnten per Fernsprecher kontaktiert werden. Ein Relikt des "Hotels zur Burg Sternberg" in Linderhofe, das den Sprung ins Jetzt übrigens geschafft hat: Gegenüber befindet sich der Neubau mit allen Features, die eine Unterkunft der Neuzeit braucht
Wer hätte es gewusst, dass die Semmel auch in Lemgo Semmel heißt? "Strohsemmel" zwar, aber immerhin. Leider ist von diesem Café mit Bäckerei nur noch eine Motorradausfahrt geblieben. Wenn auch eine mit ungewöhnlicher Deko - Halbgardinen, Glaskugeln und halbverdorrte Kakteen. Bei diesem Gewächs durchaus eine Kunst, es in einen solch erbarmungswürdigen Zustand geraten zu lassen!
Damals nannte man es noch "Fremdenzimmer". Obwohl sichtlich vor nicht allzulanger Zeit renoviert wurde (Plastikfenster), ist das Marketing für diesen Gasthof in den sechziger Jahren stehen geblieben. In Zeiten von E-Radl, Stand-up Paddles und Internet-Surfing ein geradezu tödlicher Ansatz
Die Situation an vielen Haltestellen: ÖPNV eingestellt. Man fährt lieber SUV. Und das ist nicht polemisch gemeint, sondern wurde genau in dieser Form gesehen und festgestellt. Und von Einheimischen bestätigt. Ich indessen musste laufen. Weit laufen - bis zur Unterkunft nämlich
Raststationen
In Gegenden, wo es ständig bergauf und bergab geht, gewinnt die Pause sowie die damit verbundene Belohnung ein besondere Bedeutung.
Pausenbank an einer Wegkreuzung auf dem Weg nach Lemgo. Damit man sich ja nicht verläuft, weisen Schilder den Weg
Fernblick - den kann man auf dieser Expedition häufig haben. Gesehen in Adorf im vorbildlichen "Gasthof zur Linde"
Auch in Lemgo lautet die Aussage: Deutschland braucht Bayern. Ich jedenfalls konnte keine Lemgoer Brauerei ausfindig machen. Und so gibt es in meiner Unterkunft fränkisches Bier (für diejenigen, die es nicht wissen: Franken wurde in Bayern "eingegliedert") und in diesem abgebildeten Wirtshaus Löwenbräu - das zwar als Münchner Bier vermarktet wird (es wird immerhin auch dort gebraut), allerdings mittlerweile zur brasilianisch-belgischen InBev-Gruppe gehört
Hier steht er und wartet darauf, getrunken zu werden: Der Beweis, dass es außer bayrischem Bier auch sehr durable Brauereierzeugnisse aus anderen Bundesländern gibt. Dieses sogar aus der Nähe von Marsberg, wo die Autorin vergeblich versucht hatte, einen Apfel zu kaufen
An diesem Trunk scheiden sich die Geister - die Bedienung hatte mich bei der Bestellung gewarnt. Ich gestehe, dass ich im Anschluss ein anderes Bier bestellt habe
Fauna
Deutschland und seine Tiere - vielgeliebt. Diejenigen, die sich nicht domestizieren lassen, werden einfach anderweitig vermenschlicht:
Putziges Bärenpaar in Adorf
Ansonsten alle brav hinter Zäunen:
Wirklich ausgesprochen witzig, diese Tiere. Sie erhoffen sich was von der Wandersfrau und kommen hurtig angeeilt, sobald sie ihrer angesichtig werden
Bilder, die man im Vorbeigehen aufnimmt sind flüchtig. Mein Muskelkater nicht. Zugezogen habe ich ihn mir auf der zweiten Tagesetappe von Aerzen nach Linderhofe, geblieben ist er mir bis eine Woche nach meiner Rückkehr. Und so bleibt am Schluss noch ...
... das obligatorische Abschlussbild: Wanderschuhe vor Panorama. Diesmal wieder von einer Heide, nämlich der Hochheide beim Lippischen Velmerstot. Im Hintergrund ist mit Vergrößerungsglas das Hermannsdenkmal zu erkennen, das man am vorigen Tag besucht hat
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